Am Ende war das Wort

Wie man eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, müssen sich deutsche Studenten selbst beibringen viele scheitern daran

Bei ihrem Studium in Wien hatte Judith Huber an ihren schriftlichen Hausarbeiten wenig Spaß. „An österreichischen und deutschen Unis ist das doch immer das gleiche Spiel: Da brütet man wochen- oder monatelang über einer Seminararbeit und bekommt sie dann benotet, aber ohne jeden Kommentar zurück“, sagt sie, „für die Motivation der Studenten ist das eine Katastrophe.“

Aus den eigenen Fehlern zu lernen, sei ohne Feedback unmöglich, meint Judith Huber. Daß es auch anders geht, merkte sie bei einem Studienjahr in den USA. Mehrmals pro Semester mußten die Studenten binnen weniger Tage fünf- bis zehnseitige papers zu klar umrissenen, oft kniffligen Fragestellungen abliefern. Als Judith Huber ihre erste Arbeit zurück erhielt, kam sie aus dem Staunen kaum heraus: „Der Professor hatte sie genau gelesen und einen wirklich hilfreichen Kommentar über Aufbau, Argumentationslinie, Sprache und Aussage meines kleinen Aufsatzes geschrieben – eine ganz neue Erfahrung.“

Nach der Rückkehr aus Berkeley konnte die 29jährige Wienerin die frischen Methodenkenntnisse gleich bei ihrer Geschichte-Magisterarbeit nutzen. Anschließend reichte sie den Vorschlag, auch in Deutschland und Österreich Lehrangebote zum wissenschaftlichen Schreiben zu etablieren, bei „USable“ ein, einem transatlantischen Ideenwettbewerb. Dabei sucht die Hamburger Körber-Stiftung originelle Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und prüft die Chancen für einen Import von den USA nach Deutschland. Zu den Preisträgern gehörte auch Judith Huber, die als Lektorin in einem Wiener Wissenschaftsverlag jetzt einen „SchreibGuide“ für das Fach Geschichte ins Deutsche übersetzen ließ.

Spülberge und Monsterspiele

Wissenschaftliches Schreiben wird bisher nur an wenigen deutschen Hochschulen systematisch trainiert. Die Unis gehen davon aus, daß man das Formulieren anspruchsvoller Texte schon auf dem Gymnasium quasi nebenbei lernt. Zwar sind Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten an vielen Fakultäten Pflicht, doch dabei geht es mehr um formale Fragen. „Ob der Blattrand drei oder fünf Zentimeter breit ist, halten Dozenten wie Studenten offenbar für wichtiger als den Schreibprozess“, hat Andrea Frank beobachtet. Reisen bildet: Auch die Bielefelder Soziologin und Pädagogin brach vor einigen Jahren zu einer Amerika-Reise auf und hatte, zurückgekehrt nach Bielefeld, die Idee für ein Schreiblabor im Gepäck.

Als Rektorats-Referentin für Lehre konnte Andrea Frank an der Universität Begeisterung für das Projekt wecken. Zunächst wurde es vom nordrhein-westfälsichen Wissenschaftsministerium gefördert. Mittlerweile führt die Uni es selbst weiter und zählt damit zu den Pionieren unter den deutschen Hochschulen. Das Schreiblabor hilft vor allem Examenskandidaten, die an der schriftlichen Arbeit schier verzweifeln. Neben den Einzelberatungen gibt es auch Schreibgruppen und Workshops, damit die Studenten nicht länger im eigenen Saft schmoren. Sie üben alle Elemente wissenschaftlicher Arbeit – definieren, strukturieren, argumentieren, belegen. „Wir wollen zeigen, daß in gelungenen Texten mehrere Überarbeitungsschritte stecken“, sagt Andrea Frank, „im Uni-Alltag sehen Studenten ja nur die fertigen Texte von Professoren und nie die Rohentwürfe.“

Viele Studenten plagt die sprichwörtliche Angst vor dem leeren Blatt, bei vielen hapert es an der Disziplin. Manche lesen zuviel, andere können keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wenn in den Köpfen Zitate umherirren und sich die Gedanken verkeilen, entstehen seltsame Fluchtstrategien. Nur zu gern lassen Studenten sich von Spülbergen, wichtigen Anrufen und netten Mitbewohnern ablenken. Sie trinken literweise grünen Tee, putzen die Fenster blitzblank oder erledigen nächtelang Gespenstermännchen am Computer. Nicht selten gesellen sich Alpträume und körperliche Beschwerden zu den Versagensängsten. „Mit überzogenen Ansprüchen an sich selbst steigt die Gefahr des Scheiterns“, warnt Andrea Frank. Denn wer vor Ehrgeiz platzt und die Geschichte seines Faches auf einen Schlag revolutionieren will, verliert schnell die Bodenhaftung.

Die Initiativen stehen nicht nur bei aktuten Schreibnöten parat, sondern bieten zunehmend auch Kurse zum berufsorientierten Schreiben an, weil sie Sprachkompetenz in fast allen Akademiker-Jobs für wichtig halten. Angehende Geisteswissenschaftler stellen die größte Teilnehmergruppe; für sie ist der Leidensdruck bei der Magisterarbeit am größten. Doch auch Bauingenieure, Juristen oder Mediziner sind dabei.

Erste Hilfe nach sieben Jahren

Schreiblabors und -werkstätten helfen verzagten Studenten dabei, eine pragmatische Einstellung zu Seminar- oder Examensarbeiten zu entwickeln. Und ganz nebenbei verhindern sie Studienabbrüche. „Wir haben Klientinnen, die in sieben Jahren dreimal mit Versuchen gescheitert sind, ihre Abschlußarbeit zu schreiben“, sagt Andrea Frank, „mit unserer Hilfe haben sie es in einem halben Jahr geschafft.“ Der Berliner Hochschullehrer Lutz von Werder schätzt, daß die Hälfte aller Abbrecher wegen Mißerfolgen bei schriftlichen Arbeiten aufgibt. Wolfgang Boettcher, Germanistik-Professor in Bochum, hält das für nicht übertrieben und plädiert auch aus ökonomischen Gründen für einen Ausbau der Schreibzentren: „Die Abschlußquoten spielen bei der Mittelzuweisung heute eine große Rolle, da sind die Hochschulen gefordert.“

Schreibzentren gibt es inzwischen in Oldenburg, Heidelberg, Lüneburg und Erfurt, vor allem aber an nordrhein-westfälischen Universitäten. Denn das Düsseldorfer Bildungsministerium unterstützt neben Bielefeld auch Projekte in Bochum, Düsseldorf, Essen und Köln – allerdings nur mit einer Anschubfinanzierung. Sobald die Förderung nach zwei, maximal drei Jahren ausläuft, sollen die Hochschulen selbst in die Bresche springen. Doch sie zögern trotz des geringen Personalbedarfs von meist nur ein oder zwei Stellen. Fast alle Schreibzentren stehen derzeit auf der Kippe, die Mitarbeiter müssen derweil in den Rektoraten und Dekanaten antichambrieren. „Manchmal kommt man sich vor, als müßte man Heizdecken verkaufen“, zürnt eine Schreibberaterin.

Bisher fehlt der Schreibförderung die Lobby. Sie wird aus der regulären Lehre ausgegliedert und ist fast immer das Werk engagierter Einzelkämpfer. Den Ausbruch aus ihren Nischen haben die Projekte noch längst nicht geschafft. „Viele Professoren sehen unsere Arbeit als heimlichen Vorwurf, sie seien in der Lehre nicht gut genug“, sagt Gabriela Ruhmann von der Ruhr-Uni Bochum.

Ruhestörer und Nestbeschmutzer

Zudem sind die fächerübergreifenden Initiativen oft an den hochschuldidaktischen Zentren angesiedelt – und die galten schon immer als Ruhestörer und Nestbeschmutzer ohne Respekt vor wissenschaftlichen Autoritäten. Allerdings brauchte die Writing across the Curriculum-Bewegung auch in den USA eine Weile, bis sie sich in den 60er und 70er Jahren durchsetzen konnte. Heute helfen speziell geschulte Dozenten an fast jeder US-Uni den Studenten, allmählich die Kluft zwischen Alltags- und Wissenschaftssprache zu überbrücken.

„Bei uns wird das Schreiben als natürliche Fähigkeit mißverstanden, amerikanische Hochschullehrer dagegen sehen es als erlernbares Handwerk“, meint Judith Huber. Das merke man ihren eigenen Texten an: „US-Professoren kennen keine Scheu vor einem populärwissenschaftlichen Stil und wollen auch von gebildeten Laien verstanden werden. Bei uns verschwindet der Autor eines Zeitschriftenaufsatzes völlig hinter einem Wust von Fachbegriffen und macht sich damit unangreifbar.“

Jochen Leffers

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(Sueddeutsche Zeitung vom 03.08.1999)

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